Was Diabetes-Kater Heinrich uns beibringt

Heute möchte ich euch ein bisschen davon erzählen, wie es ist, mit einem chronisch kranken Kater zusammenzuleben, und davon, was er seinen Menschen alles beibringt. Ha! Schon geht’s los – mit einem vehementen Veto von Heinrich nämlich und mit Lektion Nr. 1:

„Sagt nicht immer, ich sei krank“, protestiert Heinrich. „Ich bin nicht krank. Mein Leben ist einfach nur anders als früher, aber das ist jetzt halt so – und es ist okay.“

Von der Möglichkeit der Tierkommunikation habe ich gehört, als es Heinrich noch gar nicht gab. Zum ersten Mal in Anspruch genommen habe ich die Dienste einer Tiersprechlerin, als Heinrich und seine Schwester Hermine ganz frisch bei uns eingezogen waren und Katze Charlotte auf den Einzug der „Geschwister Fürchterlich“ extrem eifersüchtig reagierte. Meine ersten eigenen Erfahrungen auf dem Gebiet, mein Basiskurs in Tierkommunikation, fiel zeitlich ziemlich genau mit Heinrichs Diabetes-Diagnose und seiner schweren Bauchspeicheldrüsenentzündung samt zehntägigem Klinikaufenthalt zusammen. Ein Zufall? Zufälle gibt’s nicht. Nicht von ungefähr habe ich speziell durch Heinrichs Krankengeschichte ungeheuer viel über den Austausch und das Zusammensein mit Tieren gelernt – und tue es weiterhin Tag für Tag.

Heinrich und wir leben seither sehr eng zusammen, unsere Verbindung ist viel intensiver geworden als vorher. Das bleibt nicht aus bei diversen gemeinsam durchlebten Krisen. Und natürlich spielen auch die zweimal täglichen Blutzuckermessungen und Insulinspritzen eine Rolle. Der Blutstropfen zum Messen wird aus dem Ohr entnommen, und das funktioniert nur, wenn das Ohr gut durchblutet ist. Speziell im Winter ist da also Warmknuddeln angesagt. Heinrich hat ein überaus pragmatisches, lebenszugewandtes Naturell – er verbucht und genießt die Behandlungen einfach als Kuschelzeit.

Glücklichsein muss man wollen: Lektion Nr. 2.

Bis zu seinem Klinikaufenthalt war Heinrich Freigänger. Nachdem er von dort zurück war, dem Tod gerade noch mal von der Schippe gesprungen, haben wir den Garten einzäunen lassen. Es ist uns alles andere als leicht gefallen, Heinrich seine Freiheit zu nehmen. Aber wir möchten nicht, dass er ins Unterzucker-Koma rutscht, während er irgendwo im Gelände unterwegs ist, wo wir ihn niemals finden würden. Und wegen seiner empfindlichen Bauchspeicheldrüse darf er nicht mehr alles fressen, also auch nicht mehr an fremden Katzentellern räubern. Was er todsicher tun würde – Futtern ist seine Leidenschaft. Heinrich ist der Kater, der beim Fressen schnurrt.

Unser Garten ist nicht klein. Er hat viel dichtes Strauchwerk zum Verstecken, außerdem gestalten wir ihn nach und nach so, dass er den Katzen möglichst viel Abwechslung bietet. Meistens genießt Heinrich „seinen“ Teich, seinen extra-großen Kratzbaum, der ein bisschen versteckt steht, die Baumstämme zum Balancieren unter den großen Birken, die diversen Liegeplätze. Aber es gibt auch die anderen Momente. Die, in denen – bei all seiner Geduld und seinem Talent zum Glücklichsein – Resignation und Trauer um seine verlorene Freiheit ihn wie eine Welle überrollen, die auch ich deutlich spüre. Das tut weh – wenngleich ich weiß, dass es Momentaufnahmen sind und dass er sehr gern mit uns zusammenlebt. Dass er schon vor langer Zeit aufgehört hätte zu kämpfen (der tapfere kleine Kerl hat schon sechs OPs unter Vollnarkose hinter sich, unter anderem mussten ihm wegen FORL alle Zähne gezogen werden), wenn er sich in seiner, in unserer Familie nicht so wohl fühlen würde – auch das sagt er mir ja.

Lektion Nr. 3: Zusammenleben, auch und gerade das mit einer anderen Gattung, erfordert immer wieder Kompromisse. Von beiden Seiten.

Das haben wir gründlich erfahren, als wir Heinrich um den zurückliegenden Jahreswechsel herum beinahe verloren hätten. Um seinen Blutzucker besser in den Griff zu bekommen, sollte er auf Anordnung der Tierärzte Gewicht verlieren. Wir hatten also im Spätsommer seine Futtermenge reduziert und verteilten sie in kleinen Portionen über den Tag, damit er nicht alles auf einmal verschlang. Heinrich harrte und hungerte fortan auf die Futterzeiten hin, wir maßen mehrfach am Tag und spät in der Nacht seinen Blutzucker, um den Verlauf genauer verfolgen zu können – und merkten, während wir vermeintlich alles zu seinem Wohlergehen taten, fast zu spät, wie mies es ihm mit diesen festen Strukturen, mit dieser weiteren Einschränkung seiner persönlichen Freiheit tatsächlich ging. Ein fieser Schub Bauchspeicheldrüsenentzündung und ein Besuch in der Tierklinik führten dann direkt in die Krise.

„Soll das jetzt immer so weitergehen? Soll das jetzt mein Leben sein, ständig in die Klinik?“, fragte Heinrich erschöpft. „Es ist überhaupt nicht mehr schön. Bislang war mein Leben immer noch gut, aber das ist es jetzt gar nicht mehr. Ich will das so nicht mehr.“

Heinrich stellte das Fressen ein. Vermittelte mir glasklar, dass er auf keinen Fall zwangsgefüttert werden und keinesfalls noch einmal in die Klinik wollte – auch auf die Gefahr hin, dass er sterben würde. „Das ist okay“, sagte Heinrich. „Ich hatte schöne Jahre.“

Es ist uns anfangs sehr schwer gefallen, aber wir haben seine so deutlich geäußerten Wünsche respektiert. Auch weil uns immer stärker bewusst wurde, dass Heinrich Recht hatte und dass auch wir all das nicht noch einmal für ihn wollten: wieder die für ihn quälenden Ultraschalluntersuchungen; wieder an den Tropf; wieder eine Speiseröhrensonde, weil er das Futter in der Klinik auf jeden Fall verweigern würde – das kannten wir schließlich schon. Nein, so nicht, er sollte seinen Wunsch-Weg haben. Wir haben ihm also zu Hause ein liebevolles Umfeld geschaffen, ihm immer wieder unterschiedliches Lieblingsfutter angeboten und uns im Loslassen geübt.

Dies ist auf keinen Fall eine Empfehlung, Tierärzte und -kliniken zu meiden. Im Gegenteil: Dass Heinrich überhaupt noch bei uns ist, verdanken wir den Ärzten in der Klinik. Und es ist keinesfalls ein allgemeingültiger Ansatz, sondern ein durch und durch individueller Weg: In dieser speziellen Situation und mit Heinrichs Vorgeschichte fühlte er sich gut und stimmig und richtig an. Und das hat sich bewahrheitet.

Dass Heinrich sich nach und nach wieder bekrabbelt hat, dass es ihm mittlerweile wieder ziemlich gut geht und er meistens fröhlich und sonnig gestimmt ist, liegt natürlich an dem Glücksfall, dass sein Körper bislang mitspielt. Es liegt aber auch, davon bin ich überzeugt, an eben dieser Entscheidung zum Loslassen. Daran, dass wir die Kontrolle zurückgefahren haben, ihm die Sicherheit gegeben haben, in seinem vertrauten Umfeld bleiben zu können, und ihn wieder selbstbestimmter haben fressen lassen, um ihm neben dem Freigang nicht auch noch diese Freude zu nehmen.

Der Zaun, den Heinrich mir und anderen Tiersprechlerinnen in der Zeit vor dem Zusammenbruch immer wieder als großen Störfaktor in seinem Leben gezeigt hatte, war nicht nur das reale Gitter, das den Garten umgibt. Es war auch die engmaschige Tagesstruktur aus festgelegten Behandlungs- sowie Futterzeiten und -mengen, in die wir ihn hineingezwängt und mit der wir ihm alle Lebensfreude genommen hatten.

Zu viel Kontrolle schadet – Zusammenleben braucht Loslassen und Vertrauen: noch so eine Lektion.

Vertrauen ist gerade ein großes Thema. Ich träume davon, Heinrich so weit zu vertrauen, dass er zumindest in bestimmten Zeiträumen am Tag wieder frei durch die Gegend streifen kann. Noch bin ich, sind wir Menschen in dieser Familie nicht so weit. Aber ich wette, Heinrich bringt’s uns bei.  Er ist ein toller Lehrer.  🙂

2 comments on “Was Diabetes-Kater Heinrich uns beibringt

  • Ach Barbara, ich habe ja nur Bruchstücke Eurer gemeinsamen Leidenszeit mitbekommen, aber das hast Du sehr berührend erzählt. Was für ein schöner Text!

    • Ja, es war eine bange Zeit. Andererseits: Das Loslassen zu üben, etwas einfach sein zu lassen, es gut sein zu lassen, so wie es ist – das ist nicht die schlechteste Erfahrung. Merci!

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